Podiumsdiskussion Werte in der Caritas
Als Abschluss der Veranstaltungen anlässlich des 125-jährigen Jubiläums fand am 14. Dezember die Podiumsdiskussion „Werte in der Caritas. Selbstbild, Fremdbild, Zukunftsbild“ statt, die vom Caritasverband für die Stadt Essen und der Contilia veranstaltet wurde. Die Teilnehmer:innen beleuchteten dabei die gegenwärtige und eine denkbare zukünftige Rolle der Caritas. Können die Werte aus der Vergangenheit in die Zukunft übernommen werden? Stimmt das Selbstbild der Caritas mit dem Fremdbild überein? Was sind die Werte der Caritas heute?
Der erste Caritasverband in Deutschland wurde im Mai 1897 in Essen gegründet. Seither haben sich abertausende Menschen unter dem Flammenkreuz dieser Wertegemeinschaft zusammengefunden, um hilfebedürftigen Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen beizustehen. 125 Jahre, in denen die Welt und das Miteinander der Menschen einem ständigen Wandel unterzogen wurde. Die Idee der Caritas hat sich dabei bis heute als stabiler Anker bewiesen. Dabei stand sie in ihrer Geschichte immer wieder vor der Frage, ob und wie weit eine Anpassung ihres Selbstverständnisses an den jeweiligen Zeitgeist notwendig ist.
Das Podium war mit Eva Maria Welskop-Deffaa, der Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Prof. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaft der Universität Münster, Barbara Steffens, Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse NRW und NRW-Gesundheitsministerin a.D. sowie als Gastgeber Dr. med. Dirk Albrecht, Geschäftsführer der Contilia GmbH und Caritasdirektor Prof. Dr. Björn Enno Hermans hochkarätig besetzt. Die unterschiedlichen Expertisen der Teilnehmer:innen des Podiums standen für eine vielschichtige Sicht auf die Wertegemeinschaft Caritas und ermöglichten eine abwechslungsreiche Diskussion. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Journalisten Jürgen Zurheide.
Basis der Diskussion war eine nicht repräsentative Umfrage, die in den letzten Monaten online und per kleiner gedruckter Karten unter Mitarbeiter:innen und Essener Bürgerinnen und Bürgern abgefragt wurde. Zur Frage „Welche Werte verbinden Sie mit der Caritas“ konnten dabei Begriffe frei eingegeben werden. Die genannten Begriffe der Umfrage wurden im Rahmen des Podiums gezeigt und boten eine spannende Grundlage für die Gespräche.
Werte und Aufgaben
Bei der Betrachtung der genannten Begriffe, darunter Nächstenliebe, Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft aber auch „Zu wenig Personal“ fragte Moderator Jürgen Zurheide, welche Begriffe die Teilnehmer:innen selbst als am wichtigsten für die Caritas einordneten, was Caritas heute sein müsse.
Contilia-Geschäftsführer Dirk Albrecht betonte den Wert der Nächstenliebe, der für ihn an erster Stelle stehe. Caritasdirektor Hermans ergänzte, dass die Caritas ein wertegebundener Wohlfahrtsverband sei. Die Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse und ehemalige NRW Gesundheitsministerin nannte ebenfalls Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft als Werte, die erlebt werden, thematisierte jedoch gleichzeitig, das geprüft werden müsse, ob diese Werte von früher noch stimmen, ob die Caritas heute noch mit diesen Werten vereinbar sei oder ob etwas verändert werden müssen. Die Präsidentin der Caritas Deutschland Eva Maria Welskop-Deffaa verwies auf konkrete Hilfen, nach dem Motto „Liebe ist Tat“. Uni-Professorin Marianne Heimbach-Steins benannte die Zukunftsaufgabe und gleichzeitig den Spagat für die Caritas als Wert und Aufgabe gleichermaßen: die Nächstenliebe mit Leben zu füllen, als komplexe Organisation bei den Menschen zu sein und gleichzeitig eine sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen.
Bei der Frage nach Defiziten der Caritas, die Zurheide in das Podium gab, verwies Welskop-Deffa darauf, dass sie immer wieder angesprochen werde von Menschen, die sich zum Beispiel für die gute Pflege der Eltern in einer Caritas Einrichtung bedanken. Doch diese guten Beispiele müssen sichtbarerer gemacht werden. Als Defizit benannte sie außerdem, dass eine so große Organisation auch eine Plattform für die eigenen Verbände sein muss, um voneinander zu lernen. Caritasdirektor Björn Enno Hermans nannte vor allem den Fachkräftemangel. Er verwies außerdem darauf, dass die negativen Begriffe, wie Personalmangel oder fehlende Wertschätzung in der Umfrage die Herausforderungen und Themen seien, mit denen die Caritas sich beschäftigen müsse. Auch Barbara Steffens stellte ebenfalls das in der Umfrage genannte Thema Personalmangel als Defizit in den Vordergrund. Die Berufung, die viele Menschen empfinden, stifte auf der einen Seite Sinn, manchmal sei dadurch die Unzufriedenheit im Beruf aber höher. Steffens kritisierte darüber hinaus, dass das kirchliche Arbeitsrecht der Caritas nicht mehr zeitgemäß sei. In der folgenden Diskussion entgegnete Welskop-Deffaa, dass die Caritas immer wieder überprüfe, welche Rahmenbedingungen heute noch wichtig seien. Die neue Grundordnung habe sich beispielsweise hinsichtlich der Themen Scheidung und Homosexualität verändert. Die Caritas stehe damit für gute Arbeitsbedingungen ein. Professorin Heimbach-Steins betonte diese politische Aufgabe der Caritas für Gerechtigkeit bei Arbeitsbedingungen einzustehen. Gerade die Interessen von Menschen, die keine Zeit für Berufspolitik haben, heute vor allem Frauen in Pflegeberufen oder in der Carearbeit, müsse die Caritas vertreten. Albrecht unterstützt diese Bedeutung der Caritas als Stimme der Menschen – als Lobby für die, die keine Stimme haben.
Professionalisierung und Ehrenamt
Welskop-Deffaa betonte, dass, wenn man die Geschichte betrachtet, die Professionalisierung neu ist. In der Gründungszeit, als vor allem Frauen mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit den Grundstein gelegt hatten, gab es noch den Vorwurf, dass die Professionalisierung die Nächstenliebe zerstöre, weil die Tätigkeit nicht mehr freiwillig geschehe. Caritasdirektor Hermans sieht genau in der Verbindung von einer professionellen Organisation, die gleichzeitig durch das Ehrenamt getragen ist, einen großen Mehrwert. Er betonte, dass es bei jungen und alten Menschen den Wunsch gebe, sich zu engagieren und sich verantwortlich zu fühlen.
Welskop-Deffa unterstützte, dass genau das die Besonderheit der Wohlfahrtspflege sei, das Ehrenamt nicht als Lückenbüßer, sondern als Form der Sinnstiftung zu sehen. Damit sei die Caritas attraktiv für die Erwerbsarbeit und für das freiwillige Engagement. Auch Heimbach-Steins sieht im Ehrenamt einen Mehrwert für den Wert der Nächstenliebe und betonte, dass das Ehrenamt Wertschätzung und Anerkennung biete.
Zukunftsbild der Caritas
Moderator Zurheide fasste zusammen, das sich aus der bisherigen Diskussion schon zeige, dass Caritas Vertrauen auslöse. Die verschiedenen Akteure müssen dies aber stärker für die Zukunft nutzen.
Contilia-Geschäftsführer Albrecht formulierte als Zukunftsbild und gemeinsame Dachmarke für die Caritas, dass sie Einfluss auf die Politik nehmen müsse, im Sinne der Menschen. Bisher spiele es für manche Mitarbeiter, insbesondere bei großen Trägern, keine Rolle im Alltag, Teil der Caritas zu sein. Hermans benannte als Zukunftsziel darüber hinaus ein Weitermachen, bei den vielen guten Angeboten und Projekten, die es in der Stadt gebe und die die Menschen verbinden. Beispielsweise in den Zentren 60plus, wo junge und alte Menschen, Ehrenamt und Hauptamt unter anderem in der „Smartphone Sprechstunde“ zusammenkommen.
Welskop-Deffaa zitierte zum Abschluss den ehemaligen Caritas-Präsidenten Hellmut Puschmann, der sagte, „Caritas geht dabei über Nächstenliebe insofern hinaus, als es gemeinsam geschieht“ – hier bleibe jedoch der Anspruch, die richtige Form zu finden, so Welskop-Deffaa, die letzten 125 Jahre zeigen aber, dass es immer wieder geklappt habe.
Seit 125 Jahren. Mit Menschen. In Essen.
Video (Zusammenschnitt der Veranstaltung): https://youtu.be/xyD9Fz1p91s